Diogenes und der falsche Minimalismus
Erstellt von r.ehlers am Freitag 20. November 2015
Wo wir nach dem richtigen Essen suchen, kommen immer Fragen danach auf, welches das richtige Maß beim Essen ist. Die richtige nutritive Versorgung ist indes nur ein, wenn auch sehr fundamntaler, Teil der richtigen Lebensart, an deren Gestaltung wir mitwirken wollen.
Wann immer wir etwas unternehmen, stellt sich uns die Frage, welche Mittel wir zur Erreichung unserer Ziele einsetzen sollen. Sollen wir mit unseren Miteln haushalten oder verschwenderisch mit ihnen umgehen, nach dem Motte: „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ Immer stehen wir vor der Alternative, ob wir nach dem Motto „Viel hilft viel!“ vom Guten soviel wie möglich, also das Maximum, nehmen, ob wir uns auf das nötige Minimum beschränken sollen oder eben stets nach der besten Menge, dem Optimum, suchen sollen. Oder sollte uns das egal sein, ganz generell oder wenigstens hier und da?
Immer von allem das Maximun zu greifen, ist eine bei vielen Menschen übliche Grundhaltung. In unserer heutigen westlichen Überflussgesellschaft gilt sie vielen, besonders den Regierenden, als eine erstrebenswerte Norm. Denken Sie nur an das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das der Deutsche Bundestag zur Ankurbelung der Wirtschaft Ende 2009 erlassen hat! Bei der Erhöhung des Wirtschaftsvolumens zählen tatsächlich alle Produkte gleich, ob sie die Menschen irre und krank machen oder ob sie ihnen nutzen. Welcher Wahnsinn! Obwohl unsere Gesellschaft da auf dem falschen Gleis läuft, weiß aber jeder Bürger für sich genau, dass es falsch ist, ohne Rücksicht auf ihren Wert für die Menschen immer mehr Produkte herzustellen und zu verbrauchen.
Es geht also nur um die Alternative, die Menge an Dingen in unserem Leben zu minimieren, zu optimieren oder zu erkennen, dass es ganz oder weitgehend egal ist, wie man dazu steht.
Diogenes, berühmtester Minimalist aller Zeiten
Der griechische Denker Diogenes von Sinope, ein Zeitgenosse Platons,den man nicht verwechseln darf mit dem späteren Philosophen Diogenes Laertios (3. Jh.v.Chr.) steht wie kein anderer Mensch für ein Leben in völliger Bedürfnislosgkeit. Es gibt natürlich noch andere, auch wichtigere, Vertreter eines bescheidenen einfachen Lebens. Man denke nur an Buddha und Jesus. Bis heute beflügelt die Person des Diogenes in der Tonne die Phantasie aller Menschen nach ihm.
Jeder kennt, nicht erst durch Wilhem Buschs schöne Zeichnungen, diesen Diogenes, den Alexander der Große besucht haben soll, um von ihm zu hören, er möge ihm aus der Sonne gehen. Dass er aber nicht nur wegen seiner selbstgewählten bescheidenen Lebensumstände, sondern in der radikalen Umsetzung seiner Vorstellungen ein krasser Außenseiter und Tabubrecher in seiner Gesellschaft war, ist kaum jemandem bekannt.
-de.wikipedia.org (Einfaches Leben)-
Wenn er heute – etwa wie Adolf Hitler in der Phantasie des Autors Timor Vermes – „wieder da“ wäre, würde ganz sicher praktisch jeder von uns diesen schamlosen Menschen verachten. Wegen seiner Schamlosigkeit erhielt Diogenes von seinen Mitmenschen den Beinaman „der Hund“, der ihm so gut gefiel, dass er ihn auch selbst benutzte.
Wie später der Heilige Fransziskus von Assisi, dem der heutige Papst Franziskus in manchen Taten und Worten nacheifert, sagte sich auch Diogenes von allem Reichtum los und führte das Leben der Armen. In seiner Tonne, die ihm auch als Wohnstatt diente, hatte er nur ein paar Vorräte, einen Wollmantel und einen Stock.
Diogenes Ernährung und Lehren
Diogenes ernährte sich von Wasser, rohem Gemüse, wild gewachsenen Kräutern, Bohnen, Linsen, Oliven, Feigen und einfachem Gerstenbrot – durchaus anzunehmen, dass er dadurch viel gesünder war als die reichen Bürger, die sich mehrmals am Tag üppige Mahlzeiten gönnten. Mit seiner Essweise eckte Diogenes bei seinen Mitmenschen aber schwer an, weil er vor aller Augen aß. Denn damals galt es als unanständig, in der Öffentlichkeit zu essen. Schlimmer noch: Wenn ihn eine sexuelle Anwandlung überkam, masturbierte er vor allen Leuten.
Diogenes lehrte, dass nur der Mensch glücklich sein könne, der sich von allen überflüssigen Bedürfnissen frei macht. Daher erkannte er ausschließlich die Elementarbedürfnisse nach Essen, Trinken, Kleidung, Behausung und Geschlechtsverkehr an. Er kämpfte soger bewusst gegen alle anderen Antriebe an. Um sich körperlich abzuhärten,wälzte er sich im Sommer in glühend heissem Sand und umarmte im Winter schneebedeckte Statuen. Um sich emotional abzuhärten, trainierte er es, Wünsche nicht erfüllt zu bekommen, indem er steinerne Statuen um Gaben anbettelte.
Diogenes soll übrigens in seinen Schriften noch andere, äußerst anstößige Standpunkte vertreten haben. In einer seiner Schriften, der Politeia, soll er etwa geäußert haben, dass nichts gegen das Essen von verstorbenen Menschen und als Opfer geschlachteten Kindern spreche und dass sexuelle Beziehungen zu Müttern, Schwestern, Brüdern und Söhnen erlaubt seien. Diogenes soll die Abschaffung aller seinerzeit bekannten Staatsformen gefordert haben, da „die einzige wahre Staatsordnung die Ordnung im Kosmos sei.“ Als Anarchist erkannte er keine Staatsgewalt an, sah sich vielmehr als Weltbürger (Kosmopolit).
Minimalismus ist heute wieder „in“
In einer so irren Konsumgesellschaft wie der heutigen konnte es gar nicht ausbleiben, dass bedachte Menschen, wie das heute der Fall ist, zu einer Gegenbewegung aufrufen und sich für das einfache, unkomplizierte Leben einsetzen.
Wer im Netz nachelsen will, findet reichliche Vorschläge z.B. http://mrminimalist.com/minimalismus/ http://www.brigitte.de/frauen/stimmen/minimalismus-1232847, http://minimalismus.ch/aufraeumen-ordnung-minimalismus-angebot/#tab-6, http://www.unterfluss.de/und http://www.minimalismus-leben.de/gastartikel-gesunde-ernaehrung-leicht-gemacht/
Manche beschränken sich darauf, dass wir unser Leben aufräumen sollen, uns von allem unnötigen Ballast befreien, keinen unnützen Kram mehr kaufen und sowohl in unserem Wohnumfeld wie auch in der Arbeit Ordnung halten sollen. All das macht Sinn und ist sehr zu loben. Es verbessert ja auch wirklich das Leben, wenn es in allen Bezügen überschaubar wird. Ein Leben als Messi im Müll seines Lebens ist wahrlich nicht erstrebenswert.
Seit 1953 gibt es die Hirt Methode des Schweizers Josef Hirt,bis heute sicherlich Hunderttausenden von Menschen in aller Welt beigebracht hat, in ihrem Leben und in ihrem Kopf Ordnung zu halten, sich seine inneren „Strebungen“ bewusst zu machen und an ihnen zu arbeiten.Auf den ersten Blick schien mir damasl das Programm wie eine Verbesserung der aufdringlichen amerikanischen Erfolgssystem wie von Dale Carnegie zu sein. Hirt hatte aber viel besser das damals schon verfügbare Wissen über denemotionsgesteuerten Menschen verarbeitet. Wichtigstes Handwerkzeug der Hirt Methode (die ich in den 70er und 80er Jahren konsequent verfolgte), ist der Hirt Kalender, mit dessen Hilfe man sich zuverlässig seine Zeit einteilen lernte.
Als ich in den 80er Jahren wegen der größeren Bequemlichkeit täglich von früh bis spät mit dem Computer arbeiten musste, konnte ich den handschriftlich zu führenden Hirt Kalender nicht mehr brauchen. Aber die Einstellung, aus Gründen der Klugheit regelmäßig für eine gute Ordnung in den Arbeitsabläufen und generell im Oberstübchen zu sorgen, bleibt richtig.
Was aber bringt die radikale Entrümpelung?
Von Diogenes können wir lernen,dass die Beladung mit Dingen, die wier nicht wirklich brauchen, nur eine Belastung ist. Sein eigenes Leben zeigt aber auch, dass die komplette Reduzierung der Bedürfisse auf einen Level, der weit unter den Vorstellungen der Allgemeinheit liegt, nicht sozial verträglich ist.
Es gibt vernünftige Grenzen für die Vereinfachung des Lebens („simplify your life“). Was macht es denn auch für einen Sinn, alle Erinnerungsstücke, die man im aufe seines Lebens gesammelt hat, zu verschenken oder auf den Müll zu werfen? Aber natürlich braucht niemand für sich und seine Familie ein Domizil mit 20 Zimmern. Und wer braucht schon einen SUV, wo die mesiten von uns ganz und gar ohne Auto schon viel besser dran sind als mit. Richtig ist auch:“Es muss nicht immer Kaviar sein!“ Einfache Speisen können geschmacklich gleich viel bieten. Auch in der Frage von viel oder wenig gilt die alte Erkenntnis, dass die Abwechslung ihren besonderen Reiz hat. Schon Euripides (um 450 v. Chr.) lässt Orest sagen,dass „ein Wechsel immer eine schöne Sache“ ist. Darauf beruht auch die englische Spruchweisheit „Variety is the spice of life“.
Nicht vergessen sollte man schließlich, dass die Ästhetik und die Kunst zwar durchaus auch mal mit minimalistischen Mitteln arbeiten kann, aber wie hätte Rubens seine prachtvollen Frauenkörper minimalistisch darstellen können? Oder Michelangelo seine prachtvollen Körper?
Der „Ismus“ in der Politik
Ein weiterer Kritikpunkt gegen den Minimalismus stößt sich an die beliebte Methode, eine in Teilen gute Sache zu verallgmeinern und daraus einen „Ismus“ zu machen. Nehmen Sie als Beispiel den Nationalismus. Wir erleben heute zwar ein mächtiges Drängen vieler Politiker in Deutschland, der Regierungsparteien und noch mehr der Grünen, sich von dem Gedanken der Nation und dem Nationalstaat ganz verabschieden zu wollen. Sie versuchen, uns daher jedes Nationalgefühl und erst recht jeden Nationalstolz auszutreiben, indem sie schon bei der Erwähnung des Begriffs der Nation auf die Gefahr des Nationalismus hinweisen.
Es entspricht aber den Grundbedürfnissen der Menschen als von Natur aus sozialen Wesen, sich in Gemeinschaften enzubinden und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Das allerdings läst sich nicht kommandieren. Die Bürger der EU wissen zwar von den Vorteilen dadurch, dass ihre Länder Teile Europas sind. Dennoch ist richtig, was der Fernsehjpurnalist (NDR 3/Bremen) und Blogger Einar Schlereth gerade in der NeoPresse schrieb (http://www.neopresse.com/medien/die-opfer-und-die-kanaillen-von-paris/):
„Die Leute wollen keinen Turmbau zu Babel mit Flüchtlingen durch Washingtons Kriege. Sie wollen Franzosen, Engländer, Deutsche, Ungarn und Italiener bleiben.“